Inkompetenzkompensationskompetenz

lautet der Titel eines Beitrags des Philosophen Odo von Marquardt aus dem Jahr 1974 und zeigt schon  durch dieses Wortungetüm, wie inhaltsleer und beliebig besetzbar der Kompetenz-Begriff ist. Mit dem ihm eigenen Humor schreibt Marquardt in diesem Aufsatz “Über die Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie”.

Da war allerdings noch nicht einmal ansatzweise die Rede von dem Kompetenzbegriff, mit dem heute an den (Hoch)Schulen agiert (und agitiert) wird. Denn alles andere als hummorvoll sind die “pisa-affinen” Definitionen des inhalsleeren Kompetenzbegriffs, die Volker Ladenthin in seinem Beitrag “Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer Orientierungslosigkeit” aufzeigt:

„Im deutschen Sprachbereich erfreut sich die im Klieme-Gutachten [hrsg. v. BMBF, Referat Bildungsforschung; rl] zitierte Kompetenzdefinition von Weinert großer Beliebtheit. (…) Dieser Kompetenzbegriff verlangt nicht nur, dass jeder das Vorgeschriebene ohne Frage lernt. Er soll es auch gerne lernen. (…) Das Wollen selbst soll beeinflusst werden und man soll das Wollen lernen. Eine solche Verhaltensmodifikation zielt massiv auf das, was zu schützen alle bisherigen Bildungstheorien angestrebt hatten, nämlich den freien Willen und damit das Wollen des Selbst, das uns selbst bestimmt. (…) So betrachtet – und so verstehen sich diese Methoden auch selbst –, ist die Kompetenztheorie die bisher ausgeprägteste Form einer Theorie der Fremdsteuerung.”

Eine andere, nicht weniger autoritäre Konnotation des Kompetenzbegriffs führt Jürgen Gunia in seinem Beitrag “Kompetenz. Versuch einer genealogischen Ideologiekritik” aus. Mit Bezug auf Weinert und den Philosophen von Bollnow verweist Gunia auf die gedankliche Nähe einiger Autoren und Positionen zu Clausewitz und dessen Buch “Vom Kriege”:

“Darum wird es also in den folgenden Bemerkungen gehen: die auch für die Geisteswissenschaften alltäglich gewordene Kompetenzrhetorik einem historisch fundierten Vorbehalt auszuliefern und es ­ somit zu ermöglichen, eine kritische Haltung ihr gegenüber einnehmen zu können. Der Verdacht geht dabei aus von einer von erziehungswissenschaftlicher und soziologischer Seite erzielten wichtigen Erkenntnis, derzufolge dem kompetenten und sich gleichsam permanent selbst optimierenden Subjekt ein ökonomisches Modell zugrundeliegt. Als solches ist es unter der Bezeichnung »unternehmerisches Selbst« bekannt geworden. Der hier artikulierte Verdacht lautet, dass diese Erkenntnis möglicherweise weiter gedacht werden kann bzw. dass neben dem ›unternehmerischen Selbst‹ ein anderes Modell steht; eines, das unter Umständen sogar als ›ursprünglicher‹ angenommen werden kann: das des immanent militärischen, wehrhaften Selbsts.” (S. 2)

Aber lesen Sie selbst …

Quellen:
Odo von Marquardt: Inkompetenzkompensationskompetenz, in: ders. Zukunft braucht Herkunft. Philosphische Essays, Stuttgart: Reclam, 2003 (1974)

Volker Ladenthin: Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer Orientierungslosigkeit

Jürgen Gunia: Kompetenz. Versuch einer genealogischen Ideologiekritik