Paar, Kohle
Akt, Tusche
Akt, Kohle, Gouache
Im Bazaar, Holzschnitt
Kopf, Radierung
Annette und Kant, Radierung
Paar, Collage
Stehende, Tusche
Akt, Collage
Auf dem Weg zu einem Menschenbild
 
Claudia Treffert in Graphische Kunst, Heft 46, 1996, Edition Curt Visel
 
"Wer nie vor einer Zeichnung oder Platte zeichnend saß und spürte, daß sich die Zeichnung nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt, der hat nicht gezeichnet - oder abgezeichnet." Der Zeichner und Graphiker Ralf Lankau, 1961 in Lübeck geboren, weiß wovon er redet. Er kennt die Auseinandersetzung mit dem vor ihm liegenden Blatt, dem noch nicht fertigen Druckstock sehr genau. Die durchgearbeitete Nacht beginnt ohne Vorgaben. Wird es Figur, wird es Landschaft..., das Motiv der bearbeiteten Blätter entsteht, wird erst während des Prozesses deutlich.
 
Und trotzdem dominiert ein Thema in den Arbeiten: die "Figur", der Mensch mit seiner Gestik und Mimik. Ralf Lankau ist auf der Suche nach einer heute noch gültigen Formensprache für die menschliche Gestalt, auch für die Beziehung der Menschen zueinander. Mit den unterschiedlichsten Techniken nähert er sich der "Figur". Körper und Kopf, in einigen Blättern klar erkennbar, löst er bildnerisch immer wieder auf, um sie von neuem, mit anderen gestalterischen Mitteln zu einem Menschenbild zusammenzusetzen.
 
Die Basis für das freie künstlerische Spielen bildet nach seinem Verständnis eine fundierte klassische Ausbildung in Zeichen- und Drucktechniken. Noch vor dem Studium, das er 1982 begann, erwarb er eine Druckpresse, um damit erste eigene Erfahrungen zu sammeln. Von Grund auf erlernte er die Techniken während seines Graphik- und Kunstpädagogik-Studiums an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt.
Den Aufbau des menschlichen Körpers erschloß er sich in intensiven Aktstudien, zu denen ihn sein Lehrer Prof. Otfried Schütz ermunterte. Die Geistesverwandtschaft von Lehrer und Schüler bei der Suche nach einer Figurensprache ermöglichte eine sinnvolle und fruchtbare Zusammenarbeit, die ihn schließlich seinen eigenen Stil finden ließ.
 
Daß er sein Handwerk beherrscht, zeigt sich in Drucken und Zeichnungen gleichermaßen. Um Stillstand zu verhindern wechselt er häufig von der Radiernadel zur Feder, vom Messer zum Pinsel. So baut er das differenzierte, in die jeweilige Technik transformierte Formenvokabular weiter aus. Regelmäßig greift der Zeichner zu Skizzenblock und Bleistift. Mit seinen Studien - teils vor der Natur, teils aus der Erinnerung - probiert er, was möglich ist. Die "Kritzeleien" in den Skizzenbüchern helfen ihm, sein Thema zu klären.
 
Aufgrund des spielerischen Umgangs mit den graphischen Techniken, dem Experimentieren mit Formen, Farbe, Struktur und Rhythmus entwickelten sich Ralf Lankaus Arbeiten in den letzten Jahren deutlich. Die zunächst statisch und anonym wirkenden Figuren wurden lebendig; nun treten sie in Beziehung zueinander. Auf den neueren Arbeiten drücken Körperform, Haltung und Gestik Gefühle aus, stets wiederkehrende Köpfe porträtieren Charaktere und Menschentypen.
Die dargestellten Szenarien von Figuren, Figurengruppen und Porträts kommen aus der Erinnerung an Erlebtes, Geschautes und Gelesenes. Dabei geht es ihm nicht darum, "richtig" zu zeichnen. Er konzentriert sich vielmehr auf den Ausdruck, das für ihn Wesentliche. So bleiben gerade in den Feder- und Pinselzeichnungen Köpfe oft nur angedeutet, Gesten nur im Ansatz sichtbar. Hier bewegt er sich auf der Grenzlinie des Erkennbaren, im Grenzbereich von Gegenstand und freiem Strich.
 
Anders bei den Radierungen, wo Formensprache und Ausführung weit mehr im Gegenständlichen bleiben. Der schmale filigrane Männerkopf neigt sich gedankenschwer. Links nur mit Linien beschrieben, wird er auf der rechten Seite durch die Schraffur modelliert und gestützt. Bei "Annette und Kant", einer Radierung zu Giacomettis Plastiken, erwachsen nur angedeutete Figuren, Kopfgeburten gleich, aus der Stirn des Denkers. Sie stehen im krassen Gegensatz zu den durchgearbeiteten Porträts, die die Komposition auf den ersten Blick beherrschen. Gerade solche Blätter belegen auch, aus welch unterschiedlichen Quellen sich sein künstlerisches Arbeiten speist: Werke der Kunstgeschichte zählen genauso dazu wie philosophische Texte.
 
Das Wechselspiel von gegenständlich und frei, Linie und Fläche zeigt sich insbesondere bei den Holzschnitten. Bei dem Blatt "Im Basar" lösen sich die Fußgänger zu Schemen auf, die Linie öffnet den architektonischen Raum. Auf einem, ein Paar darstellenden Holzschnitt klären Linie und Kontur die Haltung des links stehenden Mannes: Lässig und selbstsicher lehnt er sich an den Tisch. Der weibliche Akt dagegen bleibt der Fläche verbunden. Seine geometrisch aufgelösten Formen lassen ihn eher erahnen.
 
In allen Techniken zeigt sich die Dominanz des Zeichners. Figuren und Köpfe "leben" vom Strich, der sich selbst bei flächigen Techniken leicht in den Vordergrund spielt. Ralf Lankaus Arbeiten heute zielen darauf, Ausdrucksmittel und Formensprache weiter zu verdichten. Nur wenige Linien, sparsame Flächen sollen genügen, ein prägnantes und zwingendes Menschenbild zu gestalten. Der Kopf als Charakterkopf, die Figur als eindeutige Person sind das Ziel. Auf dem Weg dorthin bleibt der Zeichenstift das wichtigste Werkzeug, die Zeichnung selbst das direkteste Korrektiv.
 
In der heutigen Zeit scheint die Ambition des Zeichners anachronistisch, "Figur" zu zeichnen. Muß man nicht den Mut verlieren, angesichts der grandiosen Werke alter Meister wie Dürer, Rembrandt oder Goya, deren Qualität im Grunde nicht mehr zu erreichen ist? Und doch: Das künstlerische Arbeiten charakterisiert eine besondere Form der menschlichen Kommunikation. Wie sollte der Mensch da nicht immer von neuem Motiv sein.