Medien gestalten im Kontext digitaler Technik

Poiesis und Kognition in der Medienproduktion

Kognition als Einheit von Denken und handeln

Kognition wird im ursprünglichen Sinn verstanden: als Einheit von Denken und Handeln.

Prämissen: Alle Wissenschaften sind Geisteswissenschaften: Objektivationen menschlichen Denkens. (Mittelstraß) Alle Wissenschaften sind hermeneutische Wissenschaften: Auslegungen (Deutungen) von Beobachtungen, Messungen u.ä. im Kontext von Prämissen, Modellen und Theorien. (Gadamer) Das erkenntnisleitende Interesse determiniert Fragestellung, Methode und Deutung. (Habermas) Die Semiotik trennt und benennt die syntaktische, semantische und pragmatische Ebenen der Analyse von Zeichen(-trägern). (Eco) Wissenschaften und Künste, beide im Plural, sind Methoden der „Welt-Aneignung“ durch Darstellung und Stilisierung. (Feyerabend).

  1. Kognition (im ursprünglich weit gefassten Verständnis) bezeichnet die Einheit von Denken und Handeln mit allen Aspekte der Wahrnehmung und Verarbeitung sinnlicher (aisthetischer) Impulse von der Empfindung über Wahrnehmen und Erkennen bis zum konkreten und reflektierten Handeln (Urteilen, Entscheiden , Tun).
  2. Der Prozess des Gestaltens (das Hervorbringen von Werken) als Akt der Poiesis ist eine Form des Erkennens im Tun. (Kunst-) Pädagogik vermittelt diese Form des Erkennens im Handlungsprozess durch eigenes, zunehmend eigenständiges Gestalten der Lernenden. „Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut.“ (Aristoteles)
  3. Für den Gestaltungsprozess und -unterricht ist das Unterscheiden (können) von a) eigener Gestaltungspraxis (Produktion als ganzheitlich aisthetisch-reflexiver  und materialer Handlungsprozess) und b) ästhetischer Reflexion (anschauliche Erkenntnis als aktiver,  „nachschaffender“ Rezeptionsprozess im Sinne Konrad Fiedlers ohne objektbezogene Gestaltungshandlung) wesentlich.
  4. Gestalten lehren und lernen heißt, (akustische, audio-visuelle, verbale) Sprachen in ihrer Vielfalt und spezifischen Qualität zu lehren bzw. sich durch eigene Praxis anzueignen. Das Handwerk als Können (techné) sichert Handlungsoptionen, wobei Wissenschaft wie Gestaltungsunterricht durch Experiment und Spiel als potentiell ergebnisoffene Prozesse zu weder bekannten noch antizipierten Ergebnissen führen (können). (Offen bzw. zu diskutieren ist, wie das nicht Bekannte als Lösung gefunden/gewertet werden kann.)
  5.   (Hoch)Schulen sollten, trotz zunehmendem Nützlichkeitsdenken (Utilitarismus), Berufsbezogenheit und „Verwirtschaftung aller Lebensbereiche“ (M. Miegel, Hybris), den Blick auf Gesamtzusammenhänge stärken und neben fachlichem Wissen den Kontext der Fächer im Wechselspiel mit anderen Disziplinen und Gesellschaftssystemen vermitteln.
  6. Das zu kritisierende Potential an der „Kompetenzorientierung“ sind nicht Kompetenzen an sich (Fertigkeiten, Können oder Wissen als Handlungsoption), sondern die Fokussierung auf (automatisierte und digital auswertbare) Prüfbarkeit. Statt der Priorisierung von Mess- und Vergleichbarkeit („teaching to the test“, Rankings) und damit der Modularisierung und Nivellierung der Inhalte sollte die jeweilige Fachlogik Ausgangspunkt der Curricula, Lehrmethoden und Prüfungsmodalitäten werden.
  7. Digitale Techniken und Netzwerke sind Kontroll- und Steuerungsmittel (FN_1), mit denen Menschen „fürsorglich“ bevormundet und systematisch entmündigt werden. Die Auseinandersetzung mit – den alle Lebensbereichen durchdringenden – digitalen Medien muss auch in der Lehrerausbildung gestärkt (!) werden, um mit technischen Werkzeugen und Medien qualifiziert und reflektiert umgehen und diese nach didaktischer Prämisse im Unterricht einsetzen – oder bewusst darauf verzichten zu können.(FN_2)

 

Ausblick und Perspektive

2014 war das „Jahr 01“ der Post-Snowden-Zeitrechnung. Aufgabe ist, die „zweite Aufklärung“ (Postman, 1989) zu realisieren, diesmal als Befreiung von technischer „Unmündigkeit aus Bequemlichkeit“. (Kant, FN_3)  Mit Widerstand der Nutzer von digitalen Geräten (als willige Vollstrecker der Selbstinfantilisierung) ist zu rechnen: „Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

Das Poster zu den Thesen: Lankau: Medien gestalten (Poster_A4)

FN_1: Jürgen Habermas, Wissenschaft und Technik als >Ideologie<, 1969; Joseph Weizenbaum: Die Macht der Computer ist die Ohnmacht der Vernunft, 1976 (dt. 1979); Friedrich Kittler: Gespräch mit Paul Virilio (1995), hier zit. n. Short Cuts, 2005

FN_2: Kein Mensch lernt digital; es gibt nichts, was man nicht ohne Rechner lernen könnte. In der Diskussion auch mit Pädagogen und Didaktikern muss man immer wieder verdeutlichen, dass mit Termini wie eLearning, mobile Learning oder Blended Learning technische Systeme beschrieben werden und keine Lernprozesse von Menschen.

FN_3: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (…), dennoch gern zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ I. Kant: Was ist Aufklärung?, 1784, 2. Absatz